Von Dominik Wetzel
Kaum zu glauben war, was Nachrichtensprecher am Dienstag morgen verkündeten: Julian Assange hat das britische Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London verlassen. Als sich die Bilder verbreiteten, auf denen der Wikileaks-Gründer ohne Handschellen ins Flugzeug in Richtung Pazifik steigt, ging ein Aufatmen um die Welt. Zahlreiche Unterstützer, Politiker, Aktivisten und Presseleute feierten die Freiheit des Journalisten. Wikileaks erklärte via X, dass er das Gefängnis bereits am Montag morgen verlassen habe.
Sieben Jahre lang hatte Assange in der beengten ecuadorianischen Botschaft in London verbracht, bevor er am 11. April 2019 von der britischen Polizei verhaftet und für 1.901 Tage in eine zwei mal drei Meter kleine Zelle für 23 Stunden am Tag eingesperrt wurde. Seither war seine Stimme verstummt.
«Julian Assange ist dank unermüdlicher internationaler Solidarität frei», erklärte Sevim Dagdelen, aussenpolitische Sprecherin des BSW und aktiv in der Solidaritätsbewegung für Assange, erleichtert. «Unvergessen» bleibe jedoch, «dass die USA und die NATO-Staaten insgesamt den Journalisten seit 2010 seiner Freiheit beraubt und ihn mehr als fünf Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis für seine investigative Arbeit eingekerkert haben». Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) habe laut Dagdelen «mit ihrem mangelnden Engagement keinen Beitrag zur Freilassung von Julian Assange geleistet und so den US-Angriff auf die Pressefreiheit flankiert».
Trotz der Freude über die gute Nachricht bleiben Bedenken. Bevor Assange zu seiner Familie nach Australien zurückkehren kann, muss er sich noch auf die bei Guam liegende US-Kolonie Saipan begeben, um sich dort vor einem US-Richter schuldig zu bekennen. Seine Unterstützer wollen seit Jahren verhindern, dass er US-Territorium betreten muss. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft bzw. die Todesstrafe. Gang und gäbe ist, dass Strafverteidiger und Anklage die Details ihrer Deals bereits vor dem Gerichtstermin aushandeln. Der 52jährige wird sich offensichtlich in einem einzigen Anklagepunkt, dem der Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von geheimen US-Verteidigungsdokumenten, schuldig bekennen. Assanges «Vergehen»: Er hatte mit Hilfe der Whistleblowerin Chelsea Manning, Angehörige der US-Streitkräfte, Zehntausende Dokumente zu Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan – unter anderem Videoaufnahmen aus einem US-Kampfhubschrauber unter dem Titel «Collateral Murder» – veröffentlicht.
Es wird erwartet, dass Assange bei der Anhörung zu 62 Monaten Haft verurteilt wird, die er bereits verbüsst hat. «Ich fühle mich beschwingt. Allerdings mache ich mir auch Sorgen, weil ich das so gewohnt bin, dass alles passieren kann», erklärte seine Frau Stella am Dienstag gegenüber Reuters: «Aber es sieht so aus, als hätten wir es geschafft.» Ähnlich zwiegespalten zeigte sich am Dienstag auch Jérémie Zimmermann, langjähriger Wegbegleiter und Freund Assanges: «Es ist ein Grund zum Feiern.» Allerdings gebe es «auch Gründe, besorgt zu sein». Die Vereinbarung könne eine Menge ungerechter Klauseln wie z.B. ein Redeverbot enthalten, erklärt er. Ausserdem sei das Schuldbekenntnis ein «starkes politisches Signal, um weitere journalistische Bemühungen wie Wikileaks einzuschränken».
Stella Assange, die einst Teil seines Anwaltsteams war, sagte Reuters, «ein Schuldgeständnis unter dem Spionagegesetz in bezug auf die Beschaffung und Weitergabe von Informationen» sei für «Journalisten, die sich mit der nationalen Sicherheit befassen, im allgemeinen ein sehr ernstes Problem». Der ehemalige US-Geheimdienstdirektor James Clapper, zu dessen Amtszeit die geheimen Dokumente veröffentlicht wurden, sagte im Interview mit CNN, Julian Assange habe «seine Schuldigkeit getan».
Quelle: junge Welt