
Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall baut seine Produktion am Hauptsitz seiner Schweizer Niederlassung in Zürich-Oerlikon massiv aus. Eine Hiobsbotschaft fürs Quartier, wo man bis vor Kurzem darauf hoffte, dass das grosse Areal bald der Bevölkerung zur Verfügung gestellt wird – für friedliche Zwecke.
Von Gabriela Neuhaus
Vor gut zehn Jahren herrschte in unserer nächsten Nachbarschaft in Zürich-Oerlikon so etwas wie Aufbruchstimmung: Nachdem der deutsche Rüstungsgigant Rheinmetall 1999 die ehemalige Bührle-Kanonenfabrik von deren Erb:innen gekauft und zur Schweizer Tochterfirma Air Defence AG umgebaut hatte, wurden Pläne für einen Wegzug aus dem Quartier geäussert. Die alten Strukturen würden nicht mehr zum heutigen Unternehmen passen, liess Rheinmetall 2013 verlauten. Man sei deshalb auf der Suche nach einem neuen Standort in der Region. Um das freiwerdende 53 000 Quadratmeter grosse Industrieareal mitten in Neu-Oerlikon für die Zukunft fit zu machen, hatte Rheinmetall schon Ende 2012 die Immobilienentwickler Mobimo und Hochtief Development Schweiz AG an Bord geholt. Das erklärte Ziel des Konsortiums war es, das zentral gelegene Herzstück des ehemaligen Bührle-Imperiums mit einem attraktiven Umnutzungsprojekt zu vergolden. «Nach dem Wegzug bietet sich auf dem Areal an ausgezeichneter Lage zwischen Bahnhof und Wohngebiet in Zürich-Oerlikon eine grosse Chance für eine attraktive, städtische Entwicklung basierend auf einer gemischten Nutzung mit Schwerpunkt im Wohnbereich. Damit stärkt Mobimo die Basis für attraktive neue Projekte weiter», schrieb der Immobilienkonzern in seinen Geschäftsbericht von 2012.
«Dieser Boden soll der Stadt gehören»
Die Aussicht auf ein Ende der Rüstungsproduktion im mittlerweile dichten Wohngebiet Oerlikon weckte rundum grosses Interesse und Begehrlichkeiten. Das abweisende und mit hohen Zäunen abgeschlossene Industrieareal passte so gar nicht mehr ins Quartier. Die Vision einer Öffnung und Umnutzung des Areals mit Kleingewerbe, Wohnen, Dienstleistungs- und Restaurantbetrieben stiess auf grosse Resonanz, insbesondere auch in Oerlikon selber. Um eine solche Entwicklung zu ermöglichen, hätte das Industrieareal zu einer Zentrumszone mit Mischnutzung aufgezont werden müssen, mit der Folgewirkung eines verdreifachten Quadratmeterpreises für das riesige Grundstück. Schnell wurde deshalb die Forderung laut, die Stadt müsse das Areal, oder zumindest Teile davon, kaufen und gemeinnützigen Wohnbauträgern im Baurecht zur Verfügung stellen. Die Alternative Liste reichte im Stadtparlament 2013 einen entsprechenden Vorstoss ein und SP-Nationalrätin Jacqueline Badran forderte: «Dieser Boden soll der Stadt gehören.» In der politischen Debatte der rotgrün dominierten Limmatstadt hatten diese Anliegen jedoch keine Chance: Die Stadtregierung wollte den Anteil der Industriezone in Oerlikon nicht noch weiter reduzieren. Das ehemalige Bührle-Areal sollte auch nach dem Wegzug von Rheinmetall in erster Linie industrieller und gewerblicher Nutzung vorbehalten bleiben, argumentierte damals der Vorsteher des Baudepartements, SP-Stadtrat André Odermatt.
Damit wurden für Rheinmetall als Besitzerin des Grundstücks die Gewinnaussichten bei einem allfälligen Verkauf drastisch geschmälert. Zudem erwies sich die Suche nach einem neuen Produktionsstandort für die Waffenschmiede offenbar als schwierig. Dies nicht zuletzt, weil das Areal zwischen der Birch- und Binzmühlestrasse für die Rheinmetall-Tochter Air Defence AG offenbar optimal gelegen ist: Wie ehemalige Untermieter anlässlich eines Informationsaustauschs erfahren hatten, profitiert die Air Defence AG für die Entwicklung ihrer militärischen Flugabwehrsysteme von ihrem Standort in der Anflugschneise zum Flughafen Zürich. Sie könnten vom Dach ihres Hauptsitzes aus kostengünstig «Tests an lebendigen Zielen» durchführen (gemeint sind Flugzeugbewegungen rund um den Flughafen Zürich-Kloten!), so die damalige Auskunft. Deshalb sei es schwierig, für die Firma einen neuen, gleichwertigen Standort zu finden. Weil das 5,3 Hektaren grosse Grundstück mit seinen zahlreichen, noch aus der Bührle-Zeit stammenden Gebäuden für den Bedarf von Rheinmetall während Jahren viel zu gross war, vermietete der Konzern zahlreiche Produktions- und Büroräume, Ateliers und sogar ganze Hallen an Dritte. Eine willkommene Einnahmequelle für den Konzern, insbesondere während der Jahre, als die Nachfrage nach Rüstungsgütern im Keller war. So mietete etwa das Winterthurer Dienstleistungsunternehmen Optimo Services ab 2014 auf dem geschlossenen und gesicherten Areal von Rheinmetall in grossem Stil Lagerinfrastruktur und baute in Oerlikon einen neuen Standort auf. Ein weiterer grosser Mieter war das Startup Climeworks, das sich auf das Absaugen von CO2 aus der Luft spezialisiert hat und zeitweise bis zu 80 Personen auf dem Areal beschäftigte. Nebst diesen Grossmietern gab es auch viele Kleinunternehmen, die von den grosszügigen Räumlichkeiten und vergleichsweise günstigen Mietzinsen profitierten. So war etwa im Gebäude beim Gustav-Ammann-Park nebst einer Reihe von Kleinstbetrieben auch die Stiftung Chance untergebracht, ein gemeinnütziges Unternehmen für die berufliche und soziale Integration von Arbeitsuchenden. Die mit dem öffentlichen Verkehr gut erschlossene Lage mitten im Quartier war für diesen Zweck ideal gelegen. Umgekehrt haben deren Besucher:innen das Quartier und namentlich den idyllischen Gustav- Amman-Park bereichert und belebt, so wie auch die Studierenden und Dozent:innen der Fachschule «Haus der Farbe», die während 20 Jahren bei Rheinmetall eingemietet war.
Aufrüstung in Oerlikon
Doch damit ist nun Schluss. Das machTheater Zürich ist aktuell der einzige aktuell noch verbliebene Mieter von Rheinmetall – alle anderen sind in den letzten zwei Jahren ausgezogen. Der Grund: Rheinmetall machte Eigenbedarf geltend. Wie die gesamte Rüstungsindustrie florieren und prosperieren auch die drei Schweizer Töchter des deutschen Rüstungsgiganten, weshalb nun am Hauptsitz in Zürich-Oerlikon massiv ausgebaut und aufgestockt wird. Die gewichtigste und profitabelste von ihnen ist die Air Defense AG, die laut Medienberichten bereits seit 2018 mit ihren modernen Flugabwehrgeräten «Skyshield» und «Skyguard» einen markanten Aufschwung erlebte. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs und der von US-Päsident Trump bewirkten NATO-Aufrüstung hat Rheinmetall besonders gute Karten im Rüstungsbusiness. Auftragseingang, Gewinne und Aktienkurs gehen seither durch die Decke. Der aktuelle Verkaufsschlager aus Zürich heisst «Skyranger». Die High- Tech-Kriegsgeräte werden aber nicht nur mitten in Oerlikon produziert, Rheinmetall missbraucht – ganz in alter Bührle-Tradition – auch den Namen unseres Stadtteils als Label für ihren «Oerlikon Skyranger®». Anlässlich einer Promoveranstaltung im Herbst 2024, habe der «Skyranger 30», das jüngste Kind der «Skyranger-Familie» rundum Begeisterung ausgelöst, liess damals der Air- Defence-CEO Oliver Dürr gegenüber der NZZ verlauten. Viele Staaten seien interessiert und wollten bestellen: Als erstes habe Österreich einen Serienauftrag erteilt, gefolgt von Deutschland und Dänemark.
Aufgrund der Milliarden-Aufträge wurde die Produktion in Oerlikon hochgefahren und neues Personal eingestellt. Dies, weil bereits ab Ende 2025 Skyranger-Flugabwehr-Türme im Wochenrhythmus aus dem Werk in Zürich-Oerlikon ausgeliefert werden sollen. Bei einem Stückpreis von über einer halben Million Euro ein Riesengeschäft – das weiter ausgebaut wird. Der grösste Waffenproduzent in der Schweiz, der auch Munition und Sprengstoff produziert, will seinen Personalbestand mitten in der Stadt von heute 1 200 noch einmal um mehrere hundert Leute aufstocken. Dafür buhlt er aktuell mit lockenden Angeboten um Fachkräfte und Lehrlinge – wobei diese auch anderswo dringend gebraucht und wertschöpfender als für die Waffenproduktion eingesetzt werden könnten. Das Nachsehen hat die Quartierbevölkerung: Ein Areal von mehr als 5 Hektaren Umfang an bester Lage bleibt nun auch in Zukunft eine «verbotene Stadt» – abgeriegelt vom öffentlichen Raum durch Mauern und Zäune, mit Videoüberwachung und patrouillierendem Sicherheitspersonal. Der öffentliche Gustav-Amman-Park, der Rheinmetall gehört, aber von Grünstadt Zürich betreut wird und für die Bevölkerung einst bis abends um 22 Uhr frei zugänglich war, wird neuerdings bereits um 18.30 Uhr zugesperrt. Die an den Park angrenzende Betriebskantine soll als Folge der Personalaufstockungen ausgebaut werden. Künftig beansprucht der Konzern deshalb auch die Räume, wo das machTheater seit acht Jahren eingemietet ist. Der gemeinnützige Verein, der jungen Menschen mit Beeinträchtigung in den Bereichen Theater, Kommunikation und Gestaltung Ausbildung und Arbeitsplätze anbietet, würde sehr gerne bleiben. Die alternativen Räume, die ihnen Rheinmetall angeboten hat, setzten aber einen für den Verein nicht finanzierbaren Umbau voraus, sagt Urs Beeler, Co-Leiter des machTheaters. Dies, weil sie unter anderem nicht barrierefrei seien.
Risiko für das Umfeld
Statt der einst in Aussicht gestellten Befreiung von der Waffenschmiede und der Öffnung des Werkgeländes für alle, erlebt Oerlikon nun also die bedauerliche Rückeroberung durch die Rüstungsindustrie. Dies alles inmitten eines dicht bevölkerten Wohnquartiers, das weiterwachsen wird. So hat sich der Immobilienriese Mobimo, nachdem das Grossprojekt einer Umnutzung des Gesamtperimeters gescheitert war, immerhin eine 11 000 Quadratmeter grosse Parzelle im südlichen Teil des Areals gesichert, das in einer viergeschossigen Wohnzone liegt. Nachdem der Immobilienkonzern den Boden für 70 Millionen CHF von Rheinmetall erworben hat, sollen dort nun 150 Miet- und Eigentumswohnungen gebaut werden. In unmittelbarer Nachbarschaft und mit Aussicht auf die angrenzende Waffenfabrik.
Dies ungeachtet des erheblichen Risikos, das der Standort einer strategisch bedeutsamen Rüstungsproduktion für deren Umfeld bedeutet. In Zürich weiss heute kaum jemand mehr, dass Oerlikon wegen seiner Waffenproduktion für die Achsenmächte während des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten mehrfach bombardiert wurde. So rissen etwa in der Nacht vom 17. Mai 1943 Bomben unweit der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon und in unmittelbarer Nähe eines Wohnhauses einen riesigen Krater in den Boden. Aus jüngster Vergangenheit wissen wir, dass die Zerstörung feindlicher Militärinfrastruktur und -produktion nach wie vor gängige Kriegspraxis ist – wie uns jüngst die Angriffe von Israel und den USA im Iran und umgekehrt, vom Iran in Israel gezeigt haben. Dass dabei sogenannte Kollateralschäden an Zivilist:innen nicht zu vermeiden sind, kennen wir auch aus der Ukraine und Russland. Wohnen rund um die Rheinmetall-Produktionshallen birgt also ein gewisses Risiko.