Kohle, Kapitalismus und Kriege

Wir setzen die Serie über die Energieträger mit einem fossilen Brennstoff fort, der der industriellen Revolution und dem Kapitalismus gewaltigen Auftrieb gegeben hat – die Kohle. Die Kohle galt bisher zu Recht als schmutzigster fossiler Brennstoff; nun macht ihr aber das Fracking-Flüssiggas in negativer Hinsicht Konkurrenz.

Von Ueli Schlegel

In der Schweiz war die fossile Kohle (die Stein- und Braunkohle) von 1850 bis 1955 der wichtigste Energieträger1. Sie löste im 19. Jahrhundert als Brennmaterial für die Industrie die Holzkohle ab; später verdrängte sie auch Holz und Holzkohle aus den privaten Haus- und Zentralheizungen.
Die Holzkohle wurde lokal in den Wäldern von Köhlern produziert – meist in kleinen Teams von zwei bis fünf Personen oder als Familienbetriebe (unzählige Ortsnamen mit der Bezeichnung «Cholplatz» oder ähnlich zeugen von diesen Stellen, an denen jedes Jahr wieder Holzkohle in grossen Haufen gebrannt wurde). Der seit dem späten Mittelalter betriebene Stein- und Braunkohleabbau, d.h. der Abbau fossiler Kohle aus den Böden, zentralisierte sich dagegen im Laufe der Zeit immer mehr an Orten mit ergiebigen und leicht abbaubaren Vorkommen. Die sich entwickelnde Industrie verlangte im 19. Jahrhundert nach grösseren Mengen dieses Energieträgers und nach besseren Transportmöglichkeiten. So wurden schon früh Pferdebahnen gebaut; die kohlenbetriebenen Eisenbahnen waren dann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Produkt und Mittel des Kohleabbaus und des Kohletransports zugleich.
In der Schweiz gibt es einige kleine und wenig ergiebige Kohlevorkommen. Bis zum Bau der ersten Eisenbahnen spielte die Kohle daher keine grosse Rolle für die Industrie. Die neuen Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn ermöglichten und verursachten jedoch einen gewaltigen Sprung beim Kohleverbrauch und brachten der kapitalistischen Industrie vorher ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten. Zugleich verstärkte sich die Abhängigkeit von Staaten, die grosse und preisgünstige Kohlevorkommen hatten.
Das Historische Lexikon der Schweiz schreibt: «Die Geschichte der fossilen Brennstoffe beginnt in der Schweiz mit dem Eisenbahnbau Mitte des 19. Jahrhunderts. Das neu geschaffene Eisenbahnnetz, welches das schweizerische Mittelland über Basel mit den deutschen und französischen Kohlerevieren verband, ermöglichte die Einfuhr grosser Mengen von Steinkohle. Zuvor konnte sich die Schweiz allenfalls auf ihre eigenen, vergleichsweise spärlichen Vorkommen abstützen, die mit wechselhaftem Erfolg ausgebeutet worden waren. Auch Torf mit seinem relativ geringen Heizwert diente vor und während der Einführung der Steinkohle in grösserem Ausmass als Brennstoff. Im luzernischen Wauwilermoos, im St. Galler Rheintal und im Berner Seeland wurden Torflager ausgebeutet. Gegenüber der billigen und energetisch höherwertigen Steinkohle aus Deutschland und Frankreich konnte die einheimische Förderung von fossilen Energieträgern jedoch nicht bestehen. Die Torfstecherei sank auf die Stufe eines lokalen Nebenerwerbs zurück; der einheimische Kohlebergbau verschwand bis 1900 nahezu vollständig.»2

Kohle in Kriegszeiten
Sowohl im ersten wie auch im zweiten Weltkrieg war die Versorgung der Schweiz mit Kohle gefährdet. Deshalb wurden früher stillgelegte, wenig ergiebige Bergwerke in beiden Kriegen wieder in Betrieb gesetzt.
Dank der Topografie des Landes konnte die Schweiz jedoch vergleichsweise einfach elektrifiziert werden.3/4 Eine erste Etappe der Stromerzeugung begann etwa 1885. Die Schweiz war damals das am stärksten elektrifizierte Land der Welt. W. I. Lenin, der die Schweiz gut kannte, war fasziniert. Bekannt ist seine Parole «Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes». Die zweite Etappe der schweizerischen Elektrifizierung startete 1918 nach dem ersten Weltkrieg und dauerte bis etwa 1935. Die im internationalen Vergleich weitgehende und schnelle Elektrifizierung der Bahn, der Industrie und des Gewerbes erwies sich als grosser Vorteil für die Schweiz und verringerte die Abhängigkeit von deutschen Kohleimporten im zweiten Weltkrieg massiv, während zum Beispiel Italien stark von diesen Importen abhängig war. Die Kohletransporte von Deutschland nach Italien – meist durch den Gotthardtunnel – waren denn auch während des ganzen Weltkrieges ein Verhandlungs- und Streitthema, sowohl innenpolitisch wie auch zwischen der Schweiz und den faschistischen Achsenmächten und zwischen der Schweiz und den Alliierten.5 Einmal mehr zeigte sich hier der Einfluss der Energieträger auf die Politik gerade auch in Kriegszeiten.

Kohle und Kolonien
Die laufend verbesserten Transportmöglichkeiten und die allgemeine internationale Arbeitsteilung und Globalisierung führten selbstverständlich auch dazu, dass die industrialisierten Staaten Europas und die USA die schmutzige und gesundheitsschädliche Kohleförderung immer mehr in Billiglohnländer in Asien, Lateinamerika und Afrika auslagerten. Die Schweiz – obschon im Inland-Kohleabbau absolut unbedeutend geworden – entwickelte sich zur «globalen Kohledrehscheibe», wie sie von Public Eye richtig benannt wird.6 245 in der Schweiz registrierte Unternehmen bauen Kohle ab oder handeln mit ihr. Sie kontrollieren 40% des weltweiten Kohlehandels. Die Unternehmen – Glencore, Trafigura, Vitol, Gunvor, Mercuria und andere – haben ihre Profite seit dem Beginn der Kriege in der Ukraine massiv gesteigert. Die Kohlepreise sind in dieser Zeit um mehr als das Dreifache angewachsen, angeblich wegen des Krieges (in Tat und Wahrheit ist Russland kein besonders wichtiger Kohleproduzent und Verbraucher, sein Anteil an der weltweiten Produktion liegt bei gut 5%). Die in der Schweiz angesiedelten Kohleunternehmen sind – wie bei so grossen Handelsvolumen und -risiken nicht anders zu erwarten – in zahlreiche Korruptions-, Markttäuschungs- Marktbeeinflussungs- und Bestechungsskandale verwickelt.

Kohle im Vergleich
Ökologisch gesehen ist die Verbrennung von Kohle eine Katastrophe. Der CO2 -Ausstoss beträgt bei Kohle (je nach Art) 440 bis 680 Gramm pro Kilowattstunde Endenergie (Heizenergie), während er bei Holz und Solarenergie um 20 bis 35g pro kWh Endenergie liegt.7 Wenn Kohle zur Stromerzeugung verwendet wird, liegen die Werte noch höher.
Auch der Feinstaubausstoss der Kohle ist beträchtlich. Zudem werden bei der Verbrennung Schwefeldioxide freigesetzt, die für den «sauren Regen» verantwortlich sind und der Vegetation und der Bausubstanz schaden, sowie gesundheitsschädigende Schwermetalle wie Arsen und Quecksilber.
Bemerkenswert ist jedoch, dass das beispielsweise von der momentanen Regierung Deutschlands geförderte Flüssigerdgas – vor allem wenn es sich um mit Frackingmethoden abgebautes Gas handelt – ökologisch ebenso schlecht abschneidet wie Kohle.8 Dabei spielt neben dem grossen Aufwand für das Fracking, den Transport und die Lagerung des Flüssigerdgases auch das giftige Abfallprodukt Methan eine wichtige Rolle.
Dass die deutsche Energiepolitik (durch Ausbau der Flüssigerdgas-Infrastruktur und weitere Unterstützung der Kohleförderung) weniger «Russland ruiniert», wie die Aussenministerin Baerbock das wünscht, sondern eher Deutschland selbst – ökologisch und ökonomisch – bleibt in der deutschen Diskussion oft aussen vor.
Bei der Produktion und beim Verbrauch von Kohle fällt der grosse Anteil Chinas, aber auch anderer asiatischer Staaten auf, die die Kohle hauptsächlich für die Stromerzeugung verwenden.
China stellt mit grosser Geschwindigkeit und gigantischen Zuwachsraten laufend auf Sonne, Wasser und Wind um, abgesehen davon, dass die chinesischen Kohlekraftwerke schon heute einen besseren Wirkungsgrad als die veralteten US-Kraftwerke haben.9 Es ist anzunehmen, dass Indien und Indonesien, die Nummer zwei und drei und weitere asiatische Länder den gleichen Weg einschlagen werden. Die eigentlichen Problemfälle sind daher eher Deutschland, dessen momentane Regierung vor Kurzem beschlossen hat, die letzten Kohlebergwerke erst 2038 statt wie früher vorgesehen im Jahr 2030 stillzulegen, sowie Australien, dessen Bergwerklobby einen massiven Einfluss auf die Politik hat, und die USA mit ihrer maroden Infrastruktur.

Widerstand gegen Kohle
Sowohl der Untertagebau (Bergbau) wie auch der Tagebau von Kohle verursacht gesundheitliche und ökologische Schäden. Während beim Bergbau die Mineure und Knappen in den Zechen oft an Staublungen und anderen Krankheiten leiden, werden beim Tagebau Dörfer abgerissen und ganze Landschaften verwüstet. Beim Bergbau sind die Arbeiter auch immer wieder von lebensgefährlichen Einstürzen und Bränden bedroht. Es ist nicht verwunderlich, dass der Widerstand gegen neue Abbauvorhaben überall auf der Welt zunimmt. Aus Deutschland kennen wir beispielsweise den Protest aus dem Jahr 2018 im Hambacher Forst, wo für Kohle ein Wald gefällt wurde10, und den kürzlichen Widerstand in Lützerath11.


  1. Historisches Lexikon, Geschichte der Kohle in der Schweiz, http://legacy.hls-dhs-dss.ch/m.php?article=D47174.php
  2. Historisches Lexikon, Energie, Die Einführung der fossilen Brennstoffe, http://legacy.hls-dhs-dss.ch/m.php?lg=d&article=D26220.php
  3. Swissinfo, Unter Strom – wie die Schweiz elektrifiziert wurde, https://www.swissinfo.ch/ger/wissen-technik/geschichte_unter-strom—wie-die-schweiz-elektrifiziert-wurde/44217906
  4. Radio SRF, Wissenschaftsmagazin vom 08.04.23, Die Elektrifizierung der Schweiz (letzter von diversen Beiträgen der Sendung), https://www.srf.ch/audio/wissenschaftsmagazin/die-geheimnisse-der-jupiter-eismonde?id=12363961
  5. Wikipedia, Transit durch den Gotthard 1940–1945, https://de.wikipedia.org/wiki/Transit_durch_den_Gotthard_1940%E2%80%931945
  6. Public Eye Jahresbericht 2022 / Public Eye Magazin Nr. 40, Februar 2023
  7. Daten des deutschen „Instituts Wohnen und Umwelt (IWU)“ gemäss „Modernisieren und Bauen“, https://www.co2online.de/modernisieren-und-bauen/heizung/brennstoffe-energietraeger-im-vergleich/
  8. Unsere Welt 4 / 2022 vom November 2022, Flüssigerdgas verdrängt in Europa das Pipelinegas – Ein gewaltiger Rückscheit, https://www.friedensbewegung.ch/wp-content/uploads/2022/11/UW4_22.pdf
  9. Telepolis, Chinas neue Kohlekraftwerke, lohnt sich das?, https://www.telepolis.de/features/Chinas-neue-Kohlekraftwerke-Lohnt-sich-das-7350762.html
  10. Wikipedia, Räumung des Hambacher Forsts 2018, https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A4umung_des_Hambacher_Forsts_2018
  11. Telepolis, Lützerath – der GAU der Grünen?, https://www.telepolis.de/features/Luetzerath-der-GAU-der-Gruenen-7453429.htmlKarl-W. Koch