
Am 19. März 1950 ging von Stockholm aus der Ruf an alle friedliebenden Menschen der Welt, einen Appell zu unterzeichnen, der «das absolute Verbot der Atomwaffe als einer Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung» forderte. Die etwa 150 Frauen und Männer, die diesen Aufruf in einem Stockholmer Kellerlokal verfasst hatten, waren die Repräsentanten einer noch jungen Bewegung, deren Anfänge auf das Jahr 1948 zurückgingen.
Von Hella Kaeselitz
Ende August 1948 hatten sich auf Vorschlag französischer und polnischer Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler im kriegszerstörten Wroclaw Kultur- und Geistesschaffende unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Überzeugungen aus 46 Ländern versammelt. Sie berieten darüber, wie der ständig grösser werdenden Kriegsgefahr der Welt wirksam begegnet werden könnte.
Geburt der Weltfriedensbewegung
Die Teilnehmer des Wroclawer Kongresses appellierten in einem Manifest an alle Gleichgesinnten, zur Verteidigung des Friedens Landeskomitees zu schaffen und Landeskongresse abzuhalten sowie die internationalen Beziehungen zu pflegen und zu verbessern. Der Kongress bildete einen internationalen Verbindungsausschuss mit Sitz in Paris. Dieser übernahm die Aufgabe, Kontakte zwischen den nationalen Friedensbewegungen herzustellen, den Erfahrungsaustausch zu organisieren und die Schaffung nationalen Friedenskomitees zu fördern. Ende Februar 1949 schlug der Verbindungsausschuss gemeinsam mit der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) vor, im April 1949 einen Weltkongress der Friedensanhänger nach Paris einzuberufen. Am 20. April 1949 eröffnete der französische Atomphysiker und Nobelpreisträger Frédéric Joliot-Curie im traditionsreichen Konzertsaal von Pleyel unter dem Symbol der von Pablo Picasso eigens für diese Veranstaltung geschaffenen Friedenstaube den ersten Weltkongress der Kämpfer für den Frieden. Angereist waren mehr als 2 000 Delegierte aus 72 Ländern, die 600 Millionen Friedensanhänger vertraten. Einer grossen Anzahl von Delegierten war von den französischen Behörden die Einreise verweigert worden. Diese Delegierten fanden sich in Prag zu einem vorher nicht geplanten Parallelkongress zusammen, der sich zum festen Bestandteil des Pariser Kongresses erklärte, die gleichen Beratungen durchführte und die gleichen Dokumente beschloss. Der Kongress trat in einer international brisanten Situation zusammen: In Washington war der aggressive Nordatlantikpaktvertrag unterzeichnet worden. In Bonn liefen die Vorbereitungen zur Gründung eines deutschen Separatstaates auf Hochtouren. Frankreich führte seit Jahren vertragsbrüchig einen grausamen Kolonialkrieg in Indochina, Grossbritannien einen Unterdrückungsfeldzug gegen das malaysische Volk. In Griechenland setzten Patrioten der Reaktion verzweifelten Widerstand entgegen. In den entwickelten kapitalistischen Ländern waren die Arbeiterbewegung und die demokratischen Kräfte im Zuge des Kalten Krieges und unter US-amerikanischem Druck in die Defensive gedrängt worden. Umso stärker war der Wille der in Paris und Prag Versammelten, einen Ausweg aus der gespannten internationalen Lage zu zeigen.
Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg erging von einem internationalen Kongress laut und vernehmlich der Ruf nach Erhaltung und Festigung des Friedens. «Irgend einem Volk allein ist es unmöglich, sich vor dem Krieg zu schützen», erklärte Joliot-Curie in seiner Eröffnungsansprache. «Nur die gemeinsamen Aktionen der Völker aller Länder werden es möglich machen, dieses Ziel zu erreichen. Jeder einzelne der Millionen Menschen, denen der Krieg droht, muss sich davon überzeugen, dass das Problem von Krieg und Frieden sein persönliches Problem ist, dass es ihn unmittelbar angeht und dass er ihm nicht ausweichen kann.»
Gegen Rassenhass und Kriegshetze
Der Kongress forderte das Verbot der Atombombe, die Reduzierung der Streitkräfte der Grossmächte und die Senkung der Militärausgaben. Es verurteilte die Kriegshysterie und das Predigen von Rassenhass und Feindschaft zwischen den Völkern. Als wichtigste Voraussetzung für Frieden und Freiheit bezeichnete das Manifest die nationale Unabhängigkeit der Völker und das friedliche Zusammenwirken der Grossmächte entsprechend den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen. Der erste Weltfriedenskongress schuf ein ständiges Komitee, den späteren Weltfriedensrat, das als leitendes und koordinierendes Organ der Weltfriedensbewegung fungieren sollte. Zum Präsidenten des Weltfriedenskomitees wurde Frédéric Joliot- Curie gewählt, Vizepräsidenten wurden unter anderen John Bernal, Pietro Nenni und die Präsidentin der IDFF, Eugénie Cotton. Das Weltfriedenskomitee bildete die organisatorische Basis der Weltfriedensbewegung und stützte sich in seiner praktischen Arbeit auf die bestehenden oder entstehenden nationalen Friedenskomitees in den einzelnen Ländern. Seit jenen Apriltagen des Jahres 1949 nahm die Weltfriedensbewegung einen enormen Aufschwung. Bis zum Oktober 1949 gab es bereits in 46 Ländern nationale Friedenskomitees.
Stockholmer Appell
Ein neues Kapitel in der Weltfriedensbewegung wurde mit der Verabschiedung des Stockholmer Appells am 19. März 1950 eingeleitet. Zum ersten Mal ging es darum, Millionen von Menschen direkt anzusprechen, sie wach zu rütteln, an ihr humanistisches Gewissen zu appellieren, jeden einzelnen zu bewegen, durch seine Unterschrift ein Bekenntnis zum Frieden, zum Verbot der Atombombe abzulegen. Die Mitglieder des Weltfriedenskomitees waren sich darüber im Klaren, dass vom Ergebnis dieser weltweiten Aktion vieles abhängen würde. Alle Erwartungen wurden weit übertroffen. «Ein Wunder trat ein», schrieb Ilja Ehrenburg. «Der Appell, den wir im Keller eines Stockholmer Restaurants angenommen hatten, flog um die Welt.» Der Ausbruch des Korea-Krieges am 25. Juni 1950 und die bewaffnete Intervention der USA in Korea führten zu einer wachsenden Beteiligung an der Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell. Viele Menschen, die vorher die Kriegsgefahr unterschätzt hatten, erklärten sich nun bereit, den Appell zu unterzeichnen; bis Ende 1950 waren es über 500 Millionen. Viele kamen zum ersten Mal mit der Friedensbewegung in Berührung.
Aus: Krieg oder Frieden im Wandel der Geschichte, Dietz Verlag Berlin 1989.
Kürzung: UW.