
Vor 80 Jahren warfen die USA Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ab – über 200.000 Menschen starben bis Ende 1945. Die Überlebenden, Hibakusha genannt, litten unter schweren gesundheitlichen Folgen. Sie wurden gesellschaftlich diskriminiert und kämpften lange für medizinische Hilfe und Anerkennung. Viele von ihnen engagieren sich seither für die Abschaffung von Atomwaffen und erinnern an das menschliche Leid, das diese verursachen.
Am 6. und 9. August 1945 zerstörten die USA die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit zwei Atombomben. Die Zahl der Toten war riesig – in Hiroshima starben 70.000 Menschen am Tag des Angriffs, insgesamt 140.000 Menschen bis Ende 1945. In Nagasaki fielen am 9. August ungefähr 40.000 Menschen dem Angriff zum Opfer, mindestens 74.000 Menschen verstarben bis Dezember 1945.
Die Überlebenden der Angriffe werden Hibakusha genannt, was wörtlich übersetzt «Die von der Bombe Betroffenen» bedeutet. Hibakusha war zunächst die Bezeichnung für die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Seit den 1950er und 1960er Jahren wurde der Begriff erweitert auf die Überlebenden der Atomtests weltweit.
Die Hibakusha in Hiroshima und Nagasaki litten häufig unter schweren Verletzungen und waren radioaktiver Strahlung ausgesetzt, was ihr Risiko für Folgekrankheiten wie Krebs erhöhte. Über ihre Situation war lange Zeit nichts bekannt, da die US-Regierung eine Nachrichtensperre über Hiroshima und Nagasaki verhängte, die erst nach Ende der amerikanischen Besatzung 1951 wieder aufgehoben wurde. US-amerikanische und japanische Ärzt:innen und Forscher:innen der «Atomic Bomb Casualty Commission» untersuchten die Überlebenden, um die Auswirkungen der atomaren Explosionen auf die Menschen vor Ort zu studieren. Unter der US-Besatzung Japans diente dies aber nicht der medizinischen Behandlung der Betroffenen, sondern dazu, die Auswirkungen von Atombomben zu studieren. Ein Gesetz, das die kostenlose Behandlung der Hibakusha beschloss, wurde erst 1957 verabschiedet. Ein Grund für diesen langen Zeitraum war neben der Besatzung Japans und der Geheimhaltung der Folgen von Atomwaffeneinsätzen das soziale Stigma, mit dem die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki zu kämpfen hatten und zum Teil noch haben. Die sichtbaren Folgen der starken Verbrennungen und Hauttransplantationen sowie die Langzeitfolgen der Strahlung, das erhöhte Krebsrisiko und die Angst vor Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten führten in der japanischen Gesellschaft zu einer sozialen Ausgrenzung der Überlebenden. Sie wurden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert – Arbeitslosigkeit und Armut waren die Folge. Insbesondere Frauen hatten es zudem schwer, zu heiraten, da vermutet wurde, dass sie keine Kinder bekommen oder Erbschäden weitergeben könnten. Der wichtige soziale Status als Ehefrau war für die weiblichen Hibakusha deshalb schwer zu erreichen und viele versuchten, ihre Herkunft zu verheimlichen.
Viele Hibakusha versuchten also, ihre Betroffenheit zu verschweigen und zu vergessen. Andere schlossen sich zusammen, um ihre Geschichte zu erzählen und gegen die fehlende Unterstützung und soziale Ausgrenzung zu protestieren. 1956 gründeten sie einen Verband, Nihon Hidankyō – Japan Confederati on of A- and H-Bomb Sufferers Organisations, um sich für ihre Rechte und für die Abschaffung von Atomwaffen einzusetzen. Nicht nur die eigene Situation führte zur Gründung von Nihon Hidankyō, sondern auch die weltweit durchgeführten Atomtests. Angesichts ihrer eigenen Geschichte wollten die Hibakusha verhindern, dass weiterhin Atombomben gezündet und die Menschen vor Ort und die Umwelt geschädigt werden.
Die weltweiten Atomtests
Nicht einmal ein Jahr nach dem Inferno von Hiroshima und Nagasaki, am 1. Juli 1946, zündeten die USA zu Testzwecken eine Atomwaffe auf dem Bikini-Atoll. Diesem ersten Atomtest sollten 66 weitere US-amerikanische Atomtests auf den Marshallinseln folgen. Es war der der Beginn einer langen Ära von Testreihen weltweit, an der sich alle heutigen Atomwaffenstaaten (ausser Israel) im Laufe der Geschichte beteiligt haben. Insgesamt führten die USA, die UdSSR, Grossbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Nordkorea weltweit 2.058 Atomtests durch. Davon fanden 528 oberirdisch statt . Meist fanden oberirdische Atomwaffentests in ehemaligen Kolonien oder den Gebieten von Indigenen oder ethnischen Minderheiten statt, die deshalb besonders unter den Strahlenschäden leiden.
1963 einigten sich die drei Atommächte Grossbritannien, USA und Sowjetunion auf einen Partiellen Teststopp-Vertrag (PTBT), der Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser verbietet. China und Frankreich unterzeichneten den Vertrag nicht und führten weiterhin oberirdische Tests durch. Zudem testeten die Atomwaffenstaaten weiterhin unterirdisch, mit den Folgen radioaktiver Verschmutzung von Böden und Freisetzung von Radioaktivität. Weltweite Proteste von zivilgesellschaftlichen Organisationen trugen 1996 zum Zustandekommen des umfassenden Atomteststoppvertrags (CTBT) bei, der jegliche Atomtests verbietet. Auch wenn er nie in Kraft trat, wurden mit Ausnahme Nordkoreas seitdem keine Atomtests mehr durchgeführt.
Damit das so bleibt, müssen wir jenen Menschen zuhören, deren Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und eine gesunde Umwelt durch die Tests verletzt wurde und die bis heute mit den Folgen leben und um Unterstützung kämpfen. Ebenso wie die Hibakusha aus Japan zeigen sie mit ihren Geschichten, was der Einsatz von Atomwaffen für die Menschen und die Umwelt bedeutet.
Schwere gesundheitliche Folgen
Bereits vor den ersten Atomwaffentests war bekannt, dass die Radioaktivität schwere Folgen für die betroffenen Menschen haben würde. Entsprechend wurden für die Testexplosionen Gelände fernab der Hauptstädte der testenden Staaten ausgesucht: das Land (ehemals) kolonialisierter Menschen und die Gebiete Indigener, der First Nations, sowie von politischen und ethischen Minderheiten. Die freigesetzte Radioaktivität der Atomexplosionen hatte massive Folgen für die Bewohner:innen der Testgebiete. Radioaktiver Niederschlag fiel als Staub oder Regen herab und verseuchte das Land, das Trinkwasser und lokal erzeugte Lebensmittel. Es kam zu äusserlicher und innerer Strahlenbelastung. Dennoch wurden die Bewohner:innen oft verspätet oder gar nicht über die Gefahren der Tests informiert, oft wurden sie sogar als Testpersonen missbraucht, um die Folgen einer radioaktiven Verseuchung zu untersuchen.
Viele Menschen erkrankten an strahlenbedingten Krankheiten wie etwa Krebs. Nach Angaben der Internationalen Agentur für Krebsforschung wiesen Frauen in Französisch-Polynesien noch Jahre nach den Tests die weltweit höchsten Raten an Schilddrüsenkrebs und myeloischer Leukämie auf, Krebsarten, die eng mit Strahlenbelastung zusammenhängen. Zudem litten vermehrt Menschen an Unfruchtbarkeit, Frauen erlebten mehr Fehlgeburten oder brachten Kinder mit angeborenen, oft schweren körperlichen Missbildungen zur Welt. Oftmals gingen die Tests mit Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen einher. Ganze Gesellschaften wurden durch diese Erlebnisse entwurzelt und traumatisiert. Viele Gebiete sind bis heute radioaktiv verseucht und unbewohnbar.
Überlebende von Atomtests
Die Menschen in den ehemaligen Testgebieten leiden bis heute unter den Folgen der jahrzehntelangen Tests, unter Krankheiten, Stigmatisierung und gesellschaftlicher Traumatisierung und Entwurzelung.
An einigen Orten haben sich Betroffene zusammengeschlossen und Organisationen gegründet, die auf das Geschehene aufmerksam machen, Anerkennung und Entschädigungen fordern und für die Abschaffung von Atomwaffen kämpfen, um weiteres Leid zu verhindern. In Anlehnung an die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki nennen sich viele Aktivist:innen ebenfalls «Hibakusha». Doch auch die Bezeichnung «Überlebende» (Survivors) ist mittlerweile üblich.
Quelle: IPPNW