
In Gaza wird Hunger als Waffe eingesetzt. Seit Ende Mai organisiert die israelische Besatzungsmacht eine minimale, militarisierte und demütigende Lebensmittelhilfe. Die hungrigen Zivilisten werden in unter militärischer Aufsicht stehende Verteilungszentren gelockt – ein tödlicher Fallstrick. Der Norden bleibt völlig isoliert. Weit davon entfernt, humanitäre Hilfe zu leisten, fördert dieses System Chaos und missachtet die menschliche Würde. Ein Bericht aus Gaza.
Von Ziad Medoukh
Seit dem 27. Mai 2025 hat die israelische Besatzung nach amerikanischen Druck die Einführung von Lebensmittelhilfe wieder zugelassen, jedoch in sehr begrenztem Umfang, in dem sie zwei kostenlose Verteilungszentren für Lebensmittel (hauptsächlich Mehl) zwischen Chan Yunis und Rafah, sowie im Zentrum des Gazastreifens eingerichtet hat. Dagegen erreicht die Hilfe die Stadt Gaza und den Norden nicht. Die Verteilungszentren der Hilfe werden von einem amerikanischen Unternehmen, aber unter Kontrolle der Besatzer, verwaltet. Die Bewohner des Südens müssen um 2 Uhr morgens aufstehen, um zu den Verteilungszentren zu gelangen, die um 8 Uhr öffnen. Sie bleiben bis Mittag geöffnet und wenn die hungrigen Bewohner ankommen, werden sie von Panzern, Drohnen und israelischen Soldaten empfangen, die auf sie schiessen.
Zur Erinnerung: Seit dem 2. März sind alle Übergänge nach Gaza geschlossen, die Blockade verstärkt, und es fahren keine Lastwagen mehr in das palästinensische Gebiet. Die Mehrheit der Menschen, die diese Zentren aufsuchen, sind hungrige Menschen, die nichts finden, weil die Produkte sehr, sehr teuer sind: Ein Kilo Mehl kostet bis zu 60 Euro, ein Kilo Reis bis zu 80 Euro, ein Kilo Zucker bis zu 130 Euro.
Extrem teuer
Neben den Bewohnern gibt es auch Händler und bewaffnete Männer, die die kostenlos verteilten Lebensmittel aufkaufen. So müssen die Einwohner, die es schaffen, kostenlose Lebensmittel zu erhalten, diese oft zu einem niedrigen Preis an Spekulanten verkaufen.
Ein Sack Mehl kann für 100 Euro gekauft und dann von Händlern im Norden des Gazastreifens für 500 Euro weiter verkauft werden. Einigen älteren Menschen, Kindern und Frauen werden die erhaltenen Lebensmittel unter Androhung von Waffengewalt oder Schusswaffen weggenommen.
Bevor diese Waffenruhe kam, gab es mehrere Verteilungszentren, die sehr gut und gerecht funktionierten und von der UNRWA, dem internationalen Lebensmittelhilfsprogramm und mehreren internationalen humanitären Organisationen verwaltet wurden. Die Betroffenen wurden per SMS über die Lieferungen informiert und erhielten die Lebensmittel gegen Vorlage ihres Ausweises. Aber die Besatzungskräfte, die Chaos wollen, haben dieses gut funktionierende System völlig durcheinandergebracht.
Im Norden des Gazastreifens und in der Stadt Gaza, in der 1,4 Millionen Palästinenser leben, sind Lebensmittel nicht zu finden und extrem teuer. Es gibt Händler, die diese Hilfe abfangen, um sie im Norden zu verkaufen, und hungernde Einwohner, die die LKWs mit Lebensmitteln angreifen, bevor sie in den Depots und Läden der internationalen Organisationen ankommen.
Totale Ohnmacht
Stellen Sie sich vor, die Leute fallen auf der Strasse um. Oft sehe ich, wenn ich morgens losgehe, um Trinkwasser, Holz oder Nahrung zu suchen, junge Leute – ich meine nicht Kinder oder ältere Menschen, sondern junge Leute zwischen 20 und 25 Jahren –, die auf der Strasse zusammenbrechen, weil sie seit Tagen nichts gegessen haben. Bis Ende Juli 2025, sind 115 Palästinenser, darunter 85 Kinder, an Unterernährung gestorben.
Wie lange können wir das Unerträgliche noch ertragen? Wir sind immer noch da, wir versuchen standhaft zu bleiben, aber zu viel ist zu viel.
Ich gehe jeden Tag auf den Markt und komme mit leeren Händen zurück. Das tut mir für die Kinder, für die Leute, die mit mir zusammenleben, weh. Jeder leidet. Die familiäre und soziale Solidarität, die in der von Palästinensern bewohnten Enklave, selbst wenn sie belagert wurde, immer ein starkes Element war, ist minimal geworden. Was mich betrifft, so halte ich manchmal zwei oder drei Tage ohne Essen aus. Ich gebe lieber ein Stück Brot an meine Kinder, anstatt es selbst zu essen. Wir sind in eine katastrophale Situation geraten.
Abends, wenn alle schlafen, weine ich, um meine Ohnmacht zu verbergen. Es ist totale Qual. Ich frage mich immer, ob ich stur bin? Ob ich, weil ich mich geweigert habe, Gaza zu verlassen, heute die Konsequenzen dafür trage? Ich weiss es nicht. Aber es ist schwer, meine totale Verzweiflung, meine Handlungsunfähigkeit in diesem Inferno zu beschreiben, denn es ist totale Ohnmacht.
Ziad Medoukh ist Professor für Französisch und Sprachwissenschaftler an der Universität Al- Aqsa in Gaza. Die Universität wurde von den israelischen Streitkräften wie alle anderen Bildungseinrichtungen in dem palästinensischen Gebiet ins Visier genommen und zerstört. Medoukh hat sich dennoch entschieden, in Gaza zu bleiben.