
Der Gazastreifen befindet sich in einer akuten humanitären Katastrophe, mit einer sich verschärfenden Hungersnot, die laut Experten gezielt herbeigeführt wird. Hilfsorganisationen berichten vom völligen Zusammenbruch der Versorgung, während internationale Appelle zur Beendigung des Kriegs bislang folgenlos bleiben. Trotz wachsender Kritik beliefern westliche Staaten wie Grossbritannien, Italien und Kanada Israel weiterhin mit Waffen.
Von David Siegmund-Schultze
Die Palästinenser im Gazastreifen sind unvermindert Israels Bomben- und Hungerkrieg ausgeliefert. Am Dienstag wurden mindestens 51 Menschen durch Luftangriffe getötet, mindestens 15 Menschen sind in den vergangenen 24 Stunden verhungert. Das meldete die lokale Gesundheitsbehörde. Journalisten vor Ort berichten davon, dass immer mehr Menschen aus Erschöpfung und Hunger auf der Strasse kollabieren. 100’000 Menschen leiden unter akuter Mangelernährung und benötigen dringend medizinische Versorgung, sagte Ross Smith vom UN-Welternährungsprogramm in einer Stellungnahme am Montag. «Die Hungerkrise in Gaza hat ein neues und erschreckendes Ausmass erreicht» – ein Drittel der Bevölkerung habe seit Tagen nichts gegessen.
Der Direktor der World Peace Foundation, Alex de Waal, erklärte in der am Montag (Ortszeit) ausgestrahlten US-Sendung «Democracy Now!»: «Ich beschäftige mich seit mehr als 40 Jahren mit Hungersnöten, Ernährungskrisen und humanitären Massnahmen, und in diesen vier Jahrzehnten hat es keinen Fall einer derart minutiös ausgearbeiteten, genau überwachten und präzise konzipierten Massenaushungerung einer Bevölkerung gegeben, wie es heute in Gaza geschieht.» Die Phase der Hungersnot habe nun begonnen, konstatierte der Direktor für medizinische Hilfe in Gaza, Mohammed Abu Afash, am Dienstag. Er erwarte ein Massensterben von Frauen und Kindern. Auch der Norwegische Flüchtlingsrat, der 64 palästinensische und zwei internationale Mitarbeiter vor Ort hat, erklärte am Dienstag: «Unser letztes Zelt, unser letztes Lebensmittelpaket, unsere letzten Hilfsgüter sind verteilt worden. Es gibt nichts mehr», so Leiter Jan Egeland gegenüber Reuters. Es sei die vergangenen 145 Tage nicht möglich gewesen, Hunderte von Lastwagenladungen mit humanitären Gütern nach Gaza zu bringen.
Parallel hat Israel seinen Krieg ausgeweitet und nach einer Aufforderung zur «Evakuierung» am Montag Panzer in der zentral gelegenen Stadt Deir Al-Balah auffahren lassen. Zehntausende hatten dort Schutz gesucht, zumeist in Zelten. Damit stehen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 88 Prozent der Enklave unter Evakuierungsbefehl. Sie prangerte am Dienstag an, dass die Unterkunft ihrer Mitarbeiter in Deir Al-Balah tags zuvor dreimal angegriffen und ihr Hauptlager zerstört wurde. Mehrere WHO-Angestellte seien festgenommen worden. Israel wurde aufgefordert, den WHO-Mitarbeiter unverzüglich gehenzulassen.
Ebenfalls am Montag hatten 27 Staaten, darunter Grossbritannien, Frankreich, Kanada, Italien und Japan, ein sofortiges Ende des Gazakriegs gefordert. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten sie die israelische Regierung für das «unmenschliche Töten von Zivilisten», die bei Verteilstellen an Essen gelangen wollen. Auch der Papst hatte am Sonntag Israel aufgefordert, der «Barbarei» in Gaza ein Ende zu setzen. Die Hamas begrüsste die Initiative der westlichen Staaten umgehend. Israels Aussenminister Gideon Saar kritisierte sie hingegen und sagte: «Wenn die Hamas dich lobt, bist du auf der falschen Seite.»
Und da Grossbritannien, Italien und Kanada trotz des genozidalen Krieges in Gaza Israel weiter mit Waffen beliefern, bleibt die Erklärung symbolisch. Derartige Kritik an Israels Krieg hatte bislang noch keinerlei Wirkung, denn Tel Avivs wichtigste Waffenlieferanten – die USA und die BRD – bleiben treu an Israels Seite.
Quelle: junge Welt