Schweizer Beihilfe zum Krieg

Angesichts der Kriegsverbrechen im Gazastreifen muss die Schweiz sämtliche Waffenexporte an Staaten stoppen, die Israel mit Kriegsmaterial beliefern. Obwohl Israel im Gazakrieg gegen das Völkerrecht verstösst, gelangen durch Drittländer weiterhin Waffen-Komponenten aus der Schweiz in das Kriegsgebiet. Das verstösst gegen das Kriegsmaterialgesetz.

Von Heinrich Frei

Juristen sind sich einig, Israel macht sich mit seinen Verbrechen im Gazakrieg der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Es ist daher gut, dass Bundesrat Ignazio Cassis den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Zusammenhang mit dem Krieg im Gazastreifen an das Völkerrecht erinnert hat. Angesichts der dramatischen humanitären Lage im Gazastreifen sollte der Schweizer Bundesrat aktiv auf ein Ende der Blockade und einen sofortigen Waffenstillstand hinwirken.
Für diesen Krieg im Gazastreifen ist nicht nur Netanyahu verantwortlich, sondern auch die Staaten die Israel Kriegsmaterial liefern, die USA, Deutschland, Italien und weitere Länder. Ohne diese Waffenhilfe könnte Israel keinen Tag lang Krieg führen. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute SIPRI lieferten die USA, Deutschland und Italien grössere Waffen an Israel. Grossbritannien, Frankreich und Spanien steuerten, wie viele weitere Länder auch, militärische Komponenten, Munition oder Dienstleistungen bei.
Die Schweiz exportiert Kleinbestandteile für Waffen nach den USA, Deutschland, Italien und nach weiteren Staaten, die auch nach Israel Rüstungsgüter verkaufen. Etwa fünfzig Prozent aller Kriegsmaterialexporte der Schweiz sind solche Kleinbestandteile, die dann im Ausland in Waffen eingebaut werden, die auch nach Israel kommen können. Für diese Kleinbestandteile gilt das Wiederausfuhrverbot wie für ganze Waffen nicht, wie für Kanonen von Rheinmetall und Panzerwagen der Mowag (General Dynamics). Nach dem Bundesgesetz über das Kriegsmaterial der Schweiz darf unser Land kein Kriegsmaterial in Länder exportieren, «die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind». Die USA, Deutschland, Italien und weitere Staaten sind durch ihre Waffenlieferungen an Israel, und auch an die Ukraine, in einen «bewaffneten Konflikt verwickelt». Der Bundesrat müsste das Kriegsmaterialgesetz respektieren und deshalb keine Waffenexporte an Länder bewilligen die Waffen nach Israel und an die Ukraine liefern, auch nicht Kleinbestandteile für Waffen.

Beihilfe zum Massenmord?
Für Kriegsmateriallieferungen ist das Strafrecht nicht einfach ausser Kraft gesetzt. Es gibt keinen strafrechtlichen Freipass für Fabrikanten und Politiker, die Rüstungsgüter liefern lassen an Regime, die Kriege führen. Unter Artikel 25 des Schweizerischen Strafgesetzbuches fallen nämlich Delikte wie Beihilfe zum Mord, zu vorsätzlicher Tötung, zu schwerer Körperverletzung und zu schwerer Sachbeschädigung. Gehilfe bei solchen Straftaten ist derjenige, welcher «zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzliche Hilfe leistet», wer also auch «vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines andern fördert».
Als Friedensstifter müsste die Schweiz auf Kriegsmaterialexporte und die Finanzierung von ausländischen Rüstungskonzernen verzichten. Die Schweiz investiert Milliarden in die internationale Rüstungsindustrie, sogar in Unternehmen, die an der Produktion von Atombomben, Streubomben und Antipersonenminen beteiligt sind. Die Schweizerische Nationalbank, Banken, Stiftungen sowie Einrichtungen der staatlichen und beruflichen Vorsorge und Pensionskassen platzieren ihre Gelder in Unternehmen, deren Waffen in Kriegen zum tödlichen Einsatz kamen: Im Jemen, in Afghanistan, in Libyen, in Somalia, in Syrien, im Gazastreifen, in der Ukraine und in anderen Ländern. – Ist dies keine Beihilfe zum Massenmord?

Gegen Kriegsmaterialexporte
70 Experten in Völkerrecht und Strafrecht gelangten schon 2009 in einem offenen Brief an Bundesrätin Doris Leuthard, sowie an die Direktion für Völkerrecht im Aussendepartement von Micheline Calmy-Rey. Die Professoren bemängelten, wie die seit Dezember 2008 geltende revidierte Kriegsmaterialverordnung gehandhabt werde. Als problematisch erachteten die Unterzeichnenden die Auslegung des Artikels, wonach ein Exportverbot für Länder gilt, die «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt» sind. Würde dies umgesetzt, hielten diese Rechtsgelehrten fest, dürften etwa weder nach Deutschland noch in die USA Rüstungsgüter geliefert werden, denn diese Nationen seien in Afghanistan und im Irak an Kriegen beteiligt. Die Argumentation von Volkswirtschaftsministerin Leuthard, dass die Ausfuhr in diese Länder nicht unterbunden werde, weil Uno-Resolutionen die Teilnahme an diesen bewaffneten Konflikten stützten, sei völkerrechtlich irrelevant. Nicht weniger fragwürdig seien Exporte in Staaten wie Saudi-Arabien oder Pakistan, die Menschenrechte verletzten oder in internen Konflikten stünden. Bewilligt wurden diese meist mit der Begründung, dass das Material nicht in bewaffneten Auseinandersetzungen und nur für Missionen mit Uno-Mandaten gebraucht werde.
Als einer von drei Erstunterzeichnern des Briefes an Doris Leuthard und an Micheline Calmy-Rey exponierte sich Marco Sassòli, Professor für internationales öffentliches Recht an der Universität Genf. Sassòli sagte: «Ausgerechnet die Schweiz, die sich so für das humanitäre Völkerrecht engagiert, manipuliert beim Export von Kriegsmaterial einen zentralen Begriff des humanitären Völkerrechts.» Wenn kein «bewaffneter Konflikt» vorliege, «ist dieses nämlich gar nicht anwendbar». Die Ausfuhr von Rüstungsgütern sei unter völkerrechtlichem Aspekt nicht ausgeschlossen, doch die Schweiz halte nun ihre eigenen Vorgaben nicht ein. «Entweder muss die Verordnung geändert werden, um die Exporte zu legitimieren, oder der Bund hat seine Praxis so zu ändern, dass sie der rechtlichen Grundlage entspricht.»

(Kürzung: UW)